Vertrauen durch Führungskräfte, Korruption durch Vorgesetzte

Wie wir im ersten Teil1 gesehen haben, schafft eine Führungskraft Ordnung mittels Führungstechnik, Anti-Fragilität durch Lernen, Verlässlichkeit dank Authentizität und Verbundenheit aufgrund von Wertschätzung.2 Weil die Führungskraft im Vergleich zum Vorgesetzten in allen vier Bereichen stark ist, entfaltet sie für eine Organisation zusätzlich eine Hebelwirkung: Die Führungskraft fördert Vertrauen.


Von Marco S. Maffei

Vertrauen durch Führungskräfte

«Echtes» Vertrauen unterscheidet sich von «blindem» oder «falschem» Vertrauen in einem wesentlichen Punkt: «Echtes» Vertrauen ist reziprok. Es umfasst sowohl das Senden als auch das Empfangen und Verarbeiten von vertrauensbildenden Informationen. Auf der Sender-Seite setzt Vertrauen Kongruenz voraus: Stimmen die Informationen, die jemand verbal und non-verbal sendet, nicht in allen Punkten überein, entstehen Misstrauenssignale. Inkongruenz irritiert und stellt die Glaubwürdigkeit in Frage. Auf der Empfänger-Seite bedingt Vertrauen intuitive und kognitive Fähigkeiten:3 Wer verbale oder non-verbale Informationen nicht erfassen und auf Übereinstimmung prüfen kann, ist manipulierbar und unterliegt «blindem» oder «falschem» Vertrauen. «Echtes» Vertrauen ist also gegenseitig. Genau in dieser Wechselwirkung liegt die grosse Hebelwirkung von Vertrauen:4

  • Zusammenhalt
    Vertrauen ist einer der stärksten Werte überhaupt. Es bildet die eigentliche gemeinsame Basis, auf der Führung und Zusammenarbeit erst gedeihen können. Gerade in schlechten Zeiten profitiert so die Organisation beispielsweise vom Commitment der Mitarbeitenden, von der Kundentreue oder von der Gunst der Gläubiger. Ohne Vertrauen fehlt hingegen der Zusammenhalt, sich für ein solidarisches Vorhaben oder übergeordnete Ziele einzusetzen: Gier, Neid, Missgunst und dergleichen bestimmen dann das Handeln und ebnen den Weg für eigennützige Motive.
  • Empowerment
    Nebst der zusammenhaltenden Wirkung besitzt Vertrauen auch eine ausgleichende und beschleunigende Funktion: Informationen fliessen viel rascher und symmetrischer. Einseitige Machtballungen sind dann kein Thema mehr. Ganz im Gegenteil, erst ein vertrauensvolles Umfeld ermöglicht es, umfangreiche Arbeiten zu delegieren, auf detaillierte Prozesskontrollen zu verzichten und sich dafür der stufengerechten Steuerung zu widmen. Ohne Vertrauen beginnt das Unkraut «Bürokratismus» zu wuchern. Zentralisierung von Aufgaben, Hierarchiebildung, pedantisches und engstirnig-formalistisches Denken und Handeln breiten sich aus und frieren so jeglichen Fortschritt mit der Zeit ein.
  • Motivation
    Zusätzlich resultiert dank Vertrauen ein leistungsförderndes Arbeitsklima. Dies beflügelt die intrinsische Motivation und bringt steile Lernkurven mit sich: In einer vertrauten Umgebung fällt es den Chefs und ihren Mitarbeitenden viel leichter, Fehler zuzugeben, nach den wahren Ursachen zu fragen, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen und daraus im Sinne der kontinuierlichen Qualitätssteigerung die Konsequenzen zu ziehen. Ohne Vertrauen beginnen die Organisationsmitglieder sich gegenseitig den schwarzen Peter zuzuschieben. Es «gewinnt», wer die weisseste Weste zu haben scheint – meist derjenige, der am wenigsten Entscheide getroffen beziehungsweise Unangenehmes gekonnt durch Aussitzen erledigt hat.

Korruption durch Vorgesetzte

Fehlt Vertrauen, erleidet jede Organisation kostspielige Einbussen. Zusammenhalt, Empowerment und Motivation schwinden dahin. Einige Unternehmen versuchen dies mittels monetärer Kompensationslösungen und in Aussicht gestellten Karrieremöglichkeiten zu überbrücken – mit mässigem Erfolg. Denn diese Incentives sind nicht nur teuer, sondern auch von kurzfristiger Wirkung und ziehen vor allem Vorgesetzte an, nicht Führungskräfte, was die bereits vorhandenen Mängel nur noch verstärkt. Der Tiefpunkt ist erreicht, wenn Vorgesetzte ihre Vertrauensstellung missbrauchen. Dabei ist irrelevant, ob sie sich bewusst sind, dass sie damit sich selbst oder dritte unrechtmässig bevorteilen. Wie ein Virus schleicht sich korruptes Verhalten diabolisch in das System ein, entfaltet seine zerstörerische Wirkung, höhlt es aus und reproduziert sich selbst. Der Köder: «Wer bei der Korruption mitmacht, gewinnt. Die Anderen verlieren.» So entstehen grosse Umverteilungen und Ungleichgewichte in Form von Macht und Geld, für gewöhnlich gut getarnt. Hinweise auf Korruption gibt es dennoch zuhauf in Verwaltung, Justiz, Wirtschaft und Politik.5

Kritische Masse an Führungskräften

Eine Gemeinschaft hätte also aus betriebs- und volkwirtschaftlicher Sicht allen Grund, in die Entwicklung von Führungskräften zu investieren und Vertrauen aufzubauen. Die Schwierigkeit liegt darin, dass nicht jeder Vorgesetzte das Potenzial zur Führungskraft hat. Ausserdem bestehen Organisationen aus diversen Vertretern mit unterschiedlichen, teilweise verschleierten Absichten: Kapitalgeber, Verwaltungsrat, Geschäftsleitung, Mitarbeitende, Lieferanten, Kunden, Gewerkschaften und Politiker. Ziel- und Interessenkonflikte sind vorprogrammiert. Der Mächtigere diktiert, korrumpiert und dominiert. Ein Teufelskreis? Nicht unbedingt.

Es gibt sie, die Führungskräfte. Sie sind es, die potentielle Führungskräfte gezielt fördern, um über das einseitige und kurzfristige Gewinnstreben hinauszuwachsen. Überzeugt von der nachhaltigen Wirkung einer Vertrauenskultur setzen sie auf das Nicht-Automatisierbare: Führung, Teamwork, Bewusstsein, Kommunikation und Kreativität.6 Auf diese Weise schaffen sie Voraussetzungen für eine höhere Performance, tiefere Kosten und mehr Freude. Wann ein Vorgesetzter Potential zur Führungskraft besitzt und wie ihn eine Unternehmung dabei optimal unterstützen kann, ist Thema des dritten Teils der Trilogie «Führungskraft».7


  1. Vgl. Teil 2 der Trilogie «Führungskraft»: 1. Teil: Was die Führungskraft vom Vorgesetzten unterscheidet; 2. Teil: Vertrauen durch Führungskräfte, Korruption durch Vorgesetzte; 3. Teil: Vom Vorgesetzten zur Führungskraft.
  2. Vgl. Teil 1 der Trilogie: Was die Führungskraft vom Vorgesetzten unterscheidet.
  3. Anm. d. V.: Die intuitiven Fähigkeiten beziehen sich auf das Wahrnehmen von Informationen, die kognitiven auf das Verarbeiten von Informationen.
  4. Anm. d. V.: Aufgrund des multikausalen Kontexts von Vertrauen sind auch die Auswirkungen von Vertrauen wissenschaftlich nicht ganz offenkundig zu erfassen. Eine gute Übersicht über den «Return on Trust» gibt Zak, P.J. (2017): The Neuroscience of Trust. Havard Business Review, January-February 2017 Issue. Zusätzlich besitzen diese Effekte eine multiplizierende Wirkung, wie Harter, J. (2016): Moneyball for Business: Employee Engamement Meta Analysis. Business Journal, May 31 2016anhand des Beispiels «Engagement’s Effect on Key Business Outcomes» aufzeigt. Unabhängig dessen stehen im vorliegenden Artikel drei Haupteffekte im Fokus, die allesamt bei zunehmendem Vertrauen erleb- und erfahrbar sind: Zusammenhalt, Empowerment und Motivation, beziehungsweise deren Mangel bei zunehmendem Misstrauen.
  5. Vgl. dazu Corruption Perceptions Index CPI.; Panama PapersOffshore-LeaksSwiss-LeaksVerletzung der Menschenrechte.
  6. Anm. d. V.: Nicht als Konkurrenz-, sondern Komplementär-Strategie parallel zur ohnehin unabdingbaren Strategie der Digitalisierung und Automatisierung.
  7. Vgl.: Vom Vorgesetzten zur Führungskraft.