Habe Mut, Tabu-Mauern in Bewusstseins-Brücken umzuwandeln. Die Zeit ist reif. Keine Angst, wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit. Doch glaube kein Wort, reflektiere die folgenden Tabus und siehe selbst.
Von Marco S. Maffei
Tabus sind Schlafmasken für führungsmüde Menschen. Sie verdunkeln die Sicht auf das Wesentliche und verheissen so einen angenehmen Schlummer. Das ist völlig in Ordnung, solange damit nicht geführt oder zusammengearbeitet wird. Führungskräfte sorgen deshalb für Klarheit, indem sie ihren Kontext und ihre Beziehungen enttabuisieren. Konkret bedeutet dies:
Über Tabus reden (Tabu Nr. 1), das System hinterfragen (Tabu Nr. 2), den Chef kritisieren (Tabu Nr. 3), Emotionen zulassen (Tabu Nr. 4), aus der Vernunft ausbrechen (Tabu Nr. 5), wahre Ursachen suchen (Tabu Nr. 6), eigene Schwächen offenlegen (Tabu Nr. 7), Fehler eingestehen (Tabu Nr. 8), die ganze Wahrheit sagen (Tabu Nr. 9) und die liebevolle Seite vorleben (Tabu Nr. 10). Wie unschwer zu erkennen ist, stellt dies neue Herausforderungen an alle, die in irgendeiner Art und Weise am Führen oder Zusammenarbeiten beteiligt sind. Im Kern geht es darum, Synergie-Effekte zu erzielen und Gleichgewichte zu halten.
Wer dazu schweigt, stimmt zu
Tabus sind Denk- und Redeverbote, aufgestellt von wenigen Mächtigen, um die Masse hinters Licht zu führen. Eine sehr intelligente Strategie für diejenigen, die ihre „hidden agenda“ ohne aufzufallen verwirklichen wollen.1 Denn zwischen den vordergründig politisch-korrekten Absichten und den wahren Motiven stehen die dicken Mauern des Tabus. Wer sie abreissen will, wird bestraft. Belächelt. Verachtet. Ausgegrenzt. Und so schnell wie möglich entmachtet. Nicht von den Mächtigen, sondern von den Möchte-gern-Mächtigen – und natürlich von der ängstlichen Masse selbst.2 Merke: Wer dazu schweigt, stimmt zu. Auch der klägliche Versuch, ein Tabu indirekt mit Ironie zu thematisieren, genügt nicht. Die Frage ist ganz einfach: „Cui bono?“3
Gute Chefs sind Tabubrecher
Klar, es bedarf einer gewissen Grösse und Reife, die eigene Komfort-Zone zu verlassen und sich auf ein Tabu einzulassen, dessen Folgen vielleicht weder voraussehbar noch beherrschbar sind.4 Betroffen sind Menschen in Führungspositionen, die damit das Schicksal der Geführten mitbestimmen.5 Der entscheidende Schritt besteht darin, die Tabus zu reflektieren. Denn durch das Betrachten verwandeln sich Tabu-Mauern in Bewusstseins-Brücken. Alles Weitere ergibt sich wie von selbst. Die folgenden Zeilen richten sich deshalb an alle, die als Tabubrecher tätig sind – oder es sein werden. Nennen wir sie „AUDACIA“.
Tabu Nr. 1:
Über Tabu reden
An erster Stelle steht das Tabu, überhaupt erst über Tabus zu reden. Bereits beim Gedanken an ein mögliches Tabu schwingt bei AUDACIA oft ein ungutes Gefühl des „Du tust etwas Verbotenes!“, „Das darfst du nicht!“ und „Dafür wirst du bestraft!“ mit. Angst kommt auf. Und sie sitzt meistens sehr tief, so tief, dass AUDACIA lieber die Finger davon lässt und sich mit etwas anderem abzulenken versucht. „Nur nicht mehr darüber nachdenken, und schon gar nicht darüber reden.“ Zigaretten, Whisky, Kokain und ein paar Schlaftabletten helfen ihr dabei. Das mentale Nebelmeer formt sich dann wieder. Die innere Stimme beruhigt sich, wird leiser und leiser, bis sie wieder verstummt. AUDACIA schläft ein.
So geht das tagein, tagaus. Bis zu jenem Morgen, an dem AUDACIA aufwacht und sich wieder einmal miserabel fühlt, als wäre sie schon gestorben, ohne richtig gelebt zu haben. „Das will ich nicht!“ AUDACIA fasst allen Mut zusammen und entschliesst sich, nicht länger der Stimme der Angst zu gehorchen, sondern genau auf ihr Innerstes zu hören und ihr Schweigen zu brechen. Sie fragt, was sie ihr über das Thema Tabu mitteilen könne. Ihre innere Stimme antwortet wie folgt: „Das wichtigste Tabu hast du nun erkannt. Wie du siehst, geht es zuerst darum, den Mut aufzubringen, über Tabus zu reden. Wenn du dich also wagst, scheinbar heilige und übermächtige Themen genauso wie vermeintlich böse und gefährliche zu berühren, dann wirst du die Illusion des metaphysischen Gruselns erkennen. Das Tor zu den weiteren Tabus steht dir sodann offen.“
Anregung für die Führung und Zusammenarbeit:
Tabu-Diskurs initiieren
Ohne mutige Pioniere wie AUDACIA bleiben Tabuthemen unberührt. Sie sind es, die das unbelebte Terrain (wieder-)besiedeln, indem sie sich bewusst damit auseinandersetzen. Blosses Darüber-Reden bringt indessen nichts. Einen erfolgreichen Impact erzielen Pioniere, wenn sie mindestens einen einflussreichen Mentor sowie eine Mehrheit6 für ihr Anliegen begeistern können. Dieses Unterstützungspotenzial gilt es vorgängig zu sondieren. Zu diesem Zweck ist Klarheit über das System gefragt.
Tabu Nr. 2:
Das System hinterfragen
„Wage es nicht, das System zu hinterfragen!“ Dies ist das zweite Tabu. Ein System ist eine mehr oder weniger offene Einheit verschiedener Subjekte oder Objekte, die nach bestimmten Gesetzmässigkeiten miteinander in Wechselbeziehungen stehen.7 Jedes System hat dadurch seine eigene Wirklichkeit und Identität. Dies hat den Vorteil, dass der Mensch sich leichter zurechtfinden kann, sich also im grossen ganzen Universum nicht verloren fühlt und auch nicht verzweifelt. Das bietet ihm Schutz und Sicherheit. Hinterfragst du nun das System oder deren Teile wie die Organisation, Werte, Ziele, Mittel, Verfahren, Regeln und Beziehungen zwischen den Teilen oder zu anderen Systemen, wird dies als Angriff empfunden.
Fragile Systeme überstehen dies nicht. Robuste Systeme bleiben davon unberührt. Antifragile Systeme wachsen hingegen daran.8 Statt dich also aufzureiben und die Systemhinterfragenden zu bekämpfen, investiere klugerweise in die Antifragilität. Entsprechend kannst du an folgenden fünf Hebeln ansetzen:
- Heterogenität: Verschiedenartigkeit der Teile des Systems.
- Föderalismus: Eigenständigkeit der Teile des Systems.
- Souveränität: Selbstbestimmung, Selbstregelung und Selbststeuerung des Systems.
- Lernfähigkeit: Anpassung des Systems an die sich verändernde Umwelt, wenn möglich durch eine angstfreie Lernkultur.
- Wiederherstellungscode: geschützte, übertragbare Schlüsselinformation des Systemprogramms.
Folglich ist es Pflicht und Kür zugleich, das System und seine Teile regelmässig auf die Wesensmerkmale von Antifragilität hin zu untersuchen – und so eine Lösung anzustreben, die nicht zu neuen Problemen führt.
Anregung für die Führung und Zusammenarbeit:
Gestaltungsraum erkennen
Für die Führung und Zusammenarbeit bedeutet dies, möglichst rasch einen Überblick über den jeweiligen System-Kontext und dessen Beziehungen zu gewinnen.9 Der System-Kontext fasst die Rahmenbedingungen zusammen, die das System beeinflussen. Nebst dem Makro-Kontext, der gekennzeichnet ist durch das natürliche, gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Umfeld, geht es hier vor allem um den Mikro-Kontext mit den kulturellen, strategischen, organisatorischen und strukturellen Aspekten. Bei den Beziehungen handelt es sich um die Art und Weise, wie innerhalb des Kontexts geführt und zusammengearbeitet wird. Dies umfasst hauptsächlich, wie die Beteiligten Probleme erfassen, die Lage beurteilen, Chancen und Gefahren antizipieren, Entscheidungen treffen, Lösungen erarbeiten, informieren, kommunizieren und lernen. Der gesamte Gestaltungsraum lässt sich erst dann ableiten, wenn die sich wechselseitig beeinflussenden und nicht redundanzfreien Bereiche des Kontexts und der Beziehungen erfasst sind.
Tabu Nr. 3:
Den Chef kritisieren
Aus dem Tabu Nr. 2 abgeleitet resultiert das Tabu Nr 3: Den Chef kritisieren. Kritik kommt aus dem Griechischen kritikḗ (téchnē) und bedeutet Kunst der Beurteilung, meint also eine prüfende Beurteilung und Äusserung in entsprechenden Worten. Sie dient als Mittel zur Weiterentwicklung. Weiterentwicklung bedeutet stets auch Aufwand, insbesondere dann, wenn die Kritik gerechtfertigt ist und es nicht um die Sache, sondern um die Person geht. Das kann mühsam und unangenehm werden. Hier hilft das Tabu: „Keine Kritik an der Person!“ Doch: Im Gegensatz zur Würde des Menschen, die unantastbar ist, weil sie den unveränderlichen Grundwert eines Wesens bildet, ist die Person und deren Verhalten durchaus zu kritisieren. Person, lateinisch persona, umfasst die Maske, die Rolle bzw. den Charakter eines Menschen. Die Person ist somit das Produkt aus einer Vielzahl von sich verändernden Faktoren wie Eigenschaften und Fähigkeiten, Familienverhältnisse und Hobbys, berufliche und private Interessen, Lebensbedingungen und Zukunftswünsche, Sorgen und Ängste, Werthaltungen und Einstellungen oder Erwartungen an sich und seinen Führungsstil.10
Nun kann es durchaus vorkommen, dass dein Chef durch sein Verhalten eine angstfreie Lernkultur einschränkt und so die Leistungsfähigkeit des Teams drosselt. Ursachen dafür gibt es viele. Zu den wichtigsten Abwehrmechanismen, die vielfach unbewusst als blinde Flecken auftreten, zählen die Folgenden:11
- Realitätsverleugnung: Schutz vor der unangenehmen Realität durch die Weigerung, sie wahrzunehmen.
- Verschiebung: Entladung aufgestauter Gefühle, üblicherweise feindseliger Natur, an Personen oder Objekten, die weniger gefährlich sind als jene, welche die Emotion ursprünglich ausgelöst haben.
- Phantasie: Befriedigung frustrierter Begierden durch imaginäre Erfüllung.
- Identifikation: Erhöhung des eigenen Selbstwertgefühls durch Identifikation mit einer anderen Person oder Institution, die oft eine herausragende Stellung innehat.
- Isolation: Abtrennung der emotionalen Erregung von schmerzhaften Situationen oder Abtrennung von unvereinbaren Einstellungen in logik-sichere Gefilde.
- Projektion: Übertragung der Schuld für die eigenen Schwierigkeiten auf andere oder die Zuschreibung der eigenen „verbotenen“ Begierden an andere Personen.
- Rationalisierung: Der Versuch zu beweisen, dass das eigene Verhalten „rational“ und zu rechtfertigen und insofern wert ist, von einem selbst und von anderen Zustimmung zu erfahren.
- Reaktionsbildung: Vermeidung des Ausdrucks gefährlicher Begierden durch Unterstützung gegenteiliger Einstellungen und Verhaltensweisen, die als „Barriere“ dienen.
- Regression: Rückzug auf einen früheren Entwicklungsstand, was kindlichere Reaktionen und gewöhnlich auch niedrigere Ansprüche mit sich bringt.
- Verdrängung: Schmerzhafte oder gefährliche Gedanken werden aus dem Bewusstsein gedrängt und unbewusst gehalten.
- Sublimierung: Befriedigung oder Abarbeitung frustrierter sexueller Begierden in nicht-sexuelle Ersatzhandlungen, die in der eigenen Kultur sozial akzeptiert sind.
Die Kunst liegt nun darin, die Chefin oder den Chef zu einem passenden Zeitpunkt an einem passenden Ort mit den passenden Worten auf einen solchen möglichen blinden Fleck hinzuweisen. Auch wenn deine Kritik einen gewissen Missmut auslösen kann, trägt sie früher oder später Früchte. Habe Geduld, denn jemand kann sich nur selber ändern. Und was für deinen Chef im Äusseren Gültigkeit hat, gilt selbstverständlich auch für deinen inneren Chef.
Anregung für die Führung und Zusammenarbeit:
Feedback kultivieren
Im Fokus steht hier die Kommunikation. Hinsichtlich Kontextgestaltung entfalten beispielsweise bilaterale Treffen alle zwei Wochen während rund 30 Minuten schnell eine positive Wirkung. Je offener12 und transparenter13 die Feedback-Kultur ist, desto vertrauensbildender sind die Gespräche. Bei der Beziehungsgestaltung ist darauf zu achten, dass nur über Anwesende geredet wird. Ansonsten entsteht ein unnötiges Konfliktpotenzial, wenn etwas über Dritte gesagt wird, zu dem diese nicht direkt Stellung nehmen können. Überdies erfordert Feedback-Geben und Feedback-Nehmen von beiden Seiten Mut und Wohlwollen, denn auch hier gilt: Übung macht den Meister.14 So kann es im Sinne des Lernens durchaus nützlich sein, am Ende des Gesprächs kurz gegenseitig Feedback über die Feedbacks zu geben. Sobald sich eine offene und transparente Feedback-Kultur etabliert hat, ist es sinnvoll, den bilateralen Rahmen zu erweitern, bis sie beispielsweise im gesamten System gelebt wird.
Tabu Nr. 4:
Emotionen zulassen
Emotionen zulassen ist das vierte Tabu. Emotionen sind Gefühls- und Gemütsbewegungen. Die Angst davor basiert auf der Angst, dass sie den Menschen weit weg von der Vernunft und womöglich in den Wahnsinn treiben. Vor allem Menschen mit geringer emotionaler Intelligenz fällt es oft schwer, mit Emotionen wie Furcht, Freude, Ärger oder Trauer umzugehen. Das Tabu „lasse keine Emotionen zu“ dient auch hier wieder als Schutzschild: „Nur nicht mit Emotionen konfrontiert werden!“ Paradoxerweise reagieren Menschen, die Emotionen normalerweise unterdrücken, in ausserordentlichen Situationen stark emotional bis affektiv. Im Nachhinein bereuen sie dies, verachten ihren emotionalen Teil und entfernen sich dadurch immer weiter von sich selbst.
Es lohnt sich, einen Blick hinter die Emotionen zu wagen. Die Quelle für Gefühls- und Gemütsbewegungen ist die weibliche Energie. Gemeint ist nicht die Energie des weiblichen Geschlechts, sondern die nach innen gerichtete Grundenergie des Seins – als Entsprechung zur männlichen, kreativen, nach aussen auf ein Ziel gerichtete Energie des Tuns. Beide sind gleichwertig, bedingen und ergänzen sich. Geschichtlich gesehen standen die zwei allerdings seit Menschengedenken in Konflikt: Matriarchat und Patriarchat lösten sich gegenseitig ab.
Aus diesem uralten Konflikt zwischen weiblicher und männlicher Energie kann nur kommen, wer in sich selbst beide verheiratet. Davor haben Männer genauso Angst wie Frauen. Die Männer fürchten um den Verlust ihrer Macht und Männlichkeit. Die Frauen haben Angst, aus ihrer unterdrückten Stellung in Wirtschaft und Gesellschaft auszubrechen und ihre wahre Grösse einzunehmen. Der Weg führt über das Willkommen-Heissen beider Energien, wenn sich also die eigene männliche und weibliche Energie die Hand zur Versöhnung reichen. Lasse dich auf den ekstatischen Tanz mit beiden Energien ein. Das belebt. Du fühlst dich wie neu geboren. Dabei werden Emotionen aufkommen. Je kompromissloser du diese zulässt und umarmst, desto schneller wirst du deine Defizite an weiblicher oder männlicher Energie auffüllen. Dann wirst du in deiner Mitte sein und zugleich aus deiner Mitte heraus handeln.
Anregung für die Führung und Zusammenarbeit:
Überdruck-Ventil einbauen
Gut strukturierte, straff geführte und auf das Ziel ausgerichtete Sitzungen sind nötig, um die vorhandene Zeit optimal zu nutzen. Wer der Redseligkeit verfällt oder um den heissen Brei spricht, driftet nicht nur selbst vom Kurs ab, sondern hält auch alle anderen im Meeting Anwesenden vom Wesentlichen ab. Als Ausgleich wirken „Beleidigte-Leberwurst-Gespräche“ Wunder. Die Leber ist ein Organ, das den Stoffwechsel regelt und das Blut entgiftet. Auf die Führung und Zusammenarbeit übertragen, geht es hier darum, ein Ventil für angestaute Emotionen zu schaffen, wo freies von der Leber weg reden, also ganz offen und ohne Hemmungen zu sprechen und seine Meinung zu sagen, nicht nur geduldet, sondern willkommen ist. In Systemen, die Emotionen bislang stark unterdrückt haben, sind verfettete, stark geschwollene bis entzündete „Lebern“ keine Seltenheit. So kann es in diesen Fällen durchaus hilfreich sein, in der Startphase einen kommunikationspsychologischen Spezialisten beizuziehen.
Tabu Nr. 5:
Aus der Vernunft ausbrechen
Im Zusammenhang mit dem vierten Tabu steht das fünfte. Wer Emotionen nicht zulassen will, flüchtet oft in den sicheren Hafen der Vernunft. „Sei doch vernünftig!“ „Der Vernünftige gibt nach und hält schön geduldig die andere Wange hin!“ Vernünftig sein heisst berechenbar sein, für sich selbst oder für andere. Nun ist das Berechenbare keine absolute Grösse, sondern abhängig vom jeweiligen „Rechner“, dem menschlichen Gehirn. Dass der Mensch hingegen nur einen Teil dessen bewusst wahrnehmen und verarbeiten kann, was ist, steht heutzutage ausser Frage. Die meisten sehr komplexen Wirkungszusammenhänge wie Sinneswahrnehmung und Kommunikation, Energieausnutzung, Bewegung, Steuerung der Körperfunktionen, Abwehrmechanismen, Erhaltung der Art oder Altern werden vom menschlichen Organismus unbewusst gesteuert.15
Der Vernünftige verdrängt folglich alles, was er nicht berechnen kann. Damit stört er in ziemlich naiver Art und Weise den natürlichen Fluss in seinem Lebensraum. Trotzdem wundert er sich dann, wenn sein Körper nach einer gewissen Zeit Belastungssymptome wie Herz-Kreislauf-Störungen, Migräne, Hautausschläge, Impotenz, ausbleibende Regelblutungen oder Krebs zeigt. Der Griff zu symptombekämpfenden Pharmaprodukten scheint vernünftig, schwächt das Immunsystem aber zusätzlich. Breche aus deinem Schneckenhaus der Vernunft aus. Entdecke die wahren, weiten Welten deines Körpers, deiner Seele und deines Geistes. Lasse zu, dass nicht alles berechenbar ist. Schmerzen und Krankheiten weisen dich dabei darauf hin, wenn du von deinem Weg abkommst.
Anregung für die Führung und Zusammenarbeit:
In den Spiegel blicken
Ähnlich wie beim Einbau von Überdruck-Ventilen ist hier das Ziel, ein natürliches Gleichgewicht wiederherzustellen. Geeignet sind tägliche Zeitfenster der Unvernunft à 5-10 Minuten. Die Übung ist einfach: Nehme einen Spiegel, betrachte dein Gesicht, lache und beobachte die Wirkung. Egal, ob dir danach ist, lache einfach. Lachen ist gesund und lockert den oft sehr verkrampft-verzerrten „Vorgesetzten-Blick“ ausserordentlich schnell und schonend. Im Gehirn werden dabei Regionen stimuliert, die vergleichbare euphorische Empfindungen auslösen wie beim Konsum von Kokain.16 Also, was wartest du noch? Probiere es aus, alleine oder im Team, und sei für ein paar Minuten am Tag unvernünftig und herzhaft.
Tabu Nr. 6:
Wahre Ursachen suchen
Das sechste Tabu besteht darin, die wahren Ursachen zu suchen. Einer Sache auf den Grund kommen und gehen löst bei so manchen Unbehagen aus. Denn oft lebt es sich mit einer Illusion sehr angenehm. Scheingrund, Vorwand oder Ausrede sind beliebte rhetorische Tricks, um die echten Beweggründe zu verschleiern und so dort etwas vorzutäuschen, wo die Wahrheit sonst sehr schmerzhaft wäre. Wenn zum Beispiel enge Freunde unerwartet aus deinem Leben geschieden sind oder du von deinen Eltern körperlich oder emotional missbraucht worden bist, kann es sein, dass du nicht hinschauen willst. Ob du dabei anderen oder dir selbst etwas vormachst, um damit besser umgehen zu können, ist nebensächlich.17 Solange du diese inneren Aufgaben mit dir herumträgst, ziehst du im Äusseren an, was noch ungelöst ist. Diese blinden Flecken beeinträchtigen die Art deiner Führung und Zusammenarbeit.
Irgendwann ist der Zeitpunkt günstig, die wahren Ursachen herauszufinden und deine Aufgaben zu lösen, damit sie dich im Äusseren nicht mehr behindern. Mit oder ohne professionelle Hilfe geht es stets darum, achtsam zu sein und genau hinzusehen, hinzuhören und hinzufühlen. Hierfür braucht es die richtige innere Einstellung und den entsprechenden Durchhaltewillen:18
- Nicht-Beurteilen: Die Rolle eines neutralen Beobachters einnehmen.
- Geduld: Lasse dir Zeit für das Annehmen, Verstehen und Wachsen.
- Den Geist eines Anfängers bewahren: Lege die Brille der Vergangenheit und Zukunft ab und betrachte jeden Augenblick neu.
- Selbst-Vertrauen: Verlasse dich auf deine eigene innere Weisheit.
- Nicht-Greifen: Verfolge keine Ziele und lasse dich auf das Hier und Jetzt ein.
- Annehmen: Nehme alles an, wie es ist und dass es so in Ordnung ist, auch das vermeintlich Schlechte oder Böse.
- Loslassen: Lasse jede Erfahrung wie eine Wolke am Himmel vorbeiziehen.
Je entspannter du dabei bist, desto schneller und klarer siehst du, worum es in deinem Leben eigentlich geht beziehungsweise nicht geht.
Anregung für die Führung und Zusammenarbeit:
Achtsamkeit üben
Der Weg zu den wahren Ursachen ist der Pfad der Achtsamkeit. Achtsam führen und zusammenarbeiten ist eine Frage des Trainings. Entsprechend sind der Kontext und die Beziehungen so zu gestalten, dass optimale Trainingsvoraussetzungen gegeben sind. Wie beim Sport empfiehlt es sich daher, vorab ein Trainingskonzept zu erstellen, das den Eigenheiten des Systems gerecht wird. Ein gutes Konzept beantwortet folgende Fragen: Ist der Trainingsbedarf erfasst und wird er mit dem Konzept abgedeckt? Ist das Trainingsziel klar und emotional akzeptiert? Sind die Trainingsmodule auf das Ziel ausgerichtet? Ist das Konzept mit den vorhandenen Ressourcen (z.B. finanziell, räumlich und zeitlich) umsetzbar? Sind die Ressourcen dabei optimal eingesetzt? Ist das Restrisiko tragbar? Sind die Verantwortlichkeiten definiert? Bereitet das Trainingsprogramm Spass? Ist eine flächendeckende, rational und emotional verständliche Kommunikation sichergestellt? Ist die Qualitätssicherung bzw. die kontinuierliche Verbesserung gewährleistet und z.B. mittels Qualitätszirkel geregelt? Unter solchen Voraussetzungen lässt sich das Training sehr einfach ins bestehende System integrieren.
Achtsamkeitsübungen gibt es viele, angefangen von Atemtherapie, Augentraining und Autogenem Training über Isometrische-Übungen, Mentaltraining und Meditieren bis hin zu Sensitivitätstraining, Visualisierung oder Yoga.19 Allen gemeinsam ist das Stärken des natürlichen Gleichgewichts durch das Stimulieren der Sinne und bewusste Lenken der Aufmerksamkeit auf das, was du jetzt bist und tust.
Tabu Nr. 7:
Eigene Schwächen offenlegen
Jeder Mensch hat Stärken und Schwächen. Nicht jeder besitzt hingegen die Stärke, seine eigenen Schwächen offenzulegen. Hier liegt das siebte Tabu, hervorgerufen durch die Angst, nicht stark genug zu sein oder nicht zu genügen: „Nur keine Schwäche zeigen!“ Überall dort, wo dir etwas mühelos gelingt und du sehr gute bis hervorragende Resultate erreichst, liegt eine deiner Stärken. Umgekehrt handelt es sich bei all jenem um eine Schwäche von dir, was dich unverhältnismässig viel Energie, Kraft oder Überwindung kostet. Wichtig ist der Unterschied zwischen einer Schwäche und einem Mangel. Anders als bei einer Schwäche wie z.B. ein fehlendes räumliches Vorstellungsvermögen, bei der es einer Menge Aufwand bedarf, um maximal genügend zu werden, hindert dich ein Mangel an Wissen, Aufmerksamkeit, Durchhaltewillen, Disziplin oder Zielstrebigkeit daran, grossen Erfolg zu haben.
Als Konsequenz erreichst du ausgezeichnete Resultate, wenn du kompromisslos auf deine Stärken setzt, parallel an deinen Mängeln schleifst und dabei deine Schwächen nicht aus den Augen verlierst. Dann fällt es dir ganz leicht, zu allen deinen Schwächen zu stehen: „Ich bin einfach so, das ist nicht mein Gebiet.“ Deshalb wirst du als gute Führungskraft für ein Team sorgen, das deine Schwächen kompensiert, weil die Teammitglieder darin ausserordentliche Stärken besitzen. Alles andere wäre aus Sicht der Führungsverantwortung dilettantisch. Logischerweise geht das erst, wenn du dir über deine eigenen Stärken, Schwächen und Mängel bewusst bist.
Anregung für die Führung und Zusammenarbeit:
Auf den Körper hören
Erkenne dich selbst, deine Stärken, deine Schwächen, deine Mängel. Prahle nicht, dass du seit sieben Jahren keinen Urlaub mehr gemacht hast. Weder die Selbstüberschätzung (Prahlerei) noch die Selbstzerstörung (calvinistisches Arbeitsethos) hast du nötig. Im Gegenteil. Gönne dir zwei Wochen Ferien und folge deinem eigenen Biorhythmus. Dies hilft dir, rasch die Verbindung zu dir selbst zu stärken. Lebe während diesen zwei Wochen gesund. Gesund bedeutet, wenn du deinem Organismus das gibst, was er braucht. Achte deshalb genau auf die Signale deines Körpers. Schlafe, wenn dir danach ist. Bewege dich viel in der Natur, aber nur so intensiv, wie dir dabei wohl ist. Vermeide zu sitzen. Schenke deinem Körper qualitativ gute Nahrung. Verzichte auf Dinge, die dich bereits in geringer Menge von dir und deinem Körperbewusstsein ablenken: Zucker, Kochsalz, Lebensmittelzusatzstoffe, Nikotin, Koffein, Alkohol, Schlafmittel, illegale Drogen und andere „Suchtmittel“ wie Social Media Plattformen, Gratiszeitungen, TV-Zapping oder Pornofilme. Beobachte während diesen zwei Wochen, wie dein Körper, deine Gedanken, Emotionen und Gefühle sich verändern.20 Mindestens zehn Tage braucht es, zwei Wochen genügen jedoch, um die positiven Veränderungen wahrzunehmen. Lasse deinen Körper dich führen. Arbeite mit ihm zusammen. Deine innere Führung und Zusammenarbeit wird sich immer reibungsloser gestalten und konstruktiv auf das Führen und Zusammenarbeiten im Äusseren auswirken.
Tabu Nr. 8:
Fehler eingestehen
Das siebte Tabu führt zu Tabu Nummer acht. Es ist nämlich eine Schwäche des Menschen, nicht alles antizipieren und voraussehen zu können. Deshalb tappt er manchmal im Dunkeln und hat keine andere Wahl als sich überraschen zu lassen. Er weiss, dass er nicht alles weiss und dass stets ein gewisses Restrisiko übrig bleibt. Das macht ihm Angst. Versuch und Irrtum stehen also gemeinsam vor der Tür. Perfektion ist unmenschlich. Dies liegt in der Natur des Menschen: Sein Körper ist verletzlich, in permanenter Veränderung und vergänglich, also nicht perfekt. Menschen, die einen Hang zum Perfektionismus haben, können damit schlecht umgehen und hassen ihre eigenen nicht vollkommenen Seiten. Meistens projizieren sie diesen Selbsthass auf andere, indem sie auf deren Fehlern unnötig lange herumreiten. Dies ist zwar sehr menschlich, verzerrt aber das Gesamtbild und färbt es schwarz ein. Glücklicherweise hat der Mensch die Wahl: Er kann entweder dieselben Fehler wiederholen oder daraus lernen und sich kontinuierlich verbessern.
Entscheidest du dich fürs Lernen und Weiterentwickeln, dann wirst du mit der Zeit verstehen, dass es ein Fehler ist, Fehler nicht einzugestehen. Fehler schönzureden, zu vertuschen oder anderen anzuhängen zeugt von einer sehr eingeschränkten Sichtweise. Obwohl gewisse Chefs damit ziemlich erfolgreich unterwegs zu sein scheinen und Karriere machen, höhlen sie sich in ihrem Innern immer mehr aus. Sie verlieren sukzessive das Liebevolle in sich selbst und ihrem Lebensumfeld und verarmen dabei innerlich. Zudem sind ihre Mitarbeitenden nicht dumm und merken, wie wenig authentisch ihre Chefs dadurch wirken. Dies fördert das Misstrauen, was wiederum eine angstfreie Lernkultur erschwert, wenn nicht gar verunmöglicht. Entscheidest du dich also fürs Lernen und Weiterentwickeln, stehst du zu deinen Fehlern – dein Team wird dir dafür dankbar sein und es als besondere Stärke werten.
Anregung für die Führung und Zusammenarbeit:
Sich selbst verzeihen
Willst du das System substanziell stärken und nicht nur kosmetisch behandeln, dann beginnst du bei dir selbst. Merke: Fehler eingestehen wirkt unecht, solange du dir deine eigenen Fehler nicht verzeihen kannst. Verzeihen ist ausserdem die Voraussetzung, um Vertrauen wiederherzustellen. In diesem Fall ist es dein mangelndes Selbstvertrauen, das dich daran hindert, anderen zu vertrauen. Die Fehler deiner Mitmenschen sind nicht der wahre Grund, weshalb du ihnen nicht trauen kannst. Sie spiegeln dir nur deinen eigenen Fehler, deinen Mangel an Selbstliebe. Wo Liebe fehlt, belebt Verzeihen. Verzeihen reaktiviert all deine verletzten oder bereits abgestorbenen Bereiche in deinem Herzen. Sie sind es, die deine Wahrnehmung trüben. Lasse dich also ein auf eine Beziehung mit dir selbst und umarme deine guten wie schlechten Seiten. Verzeihen bedeutet Willkommen-Heissen. Fürchte dich nicht. Sei grosszügig mit dir. Du bist würdig genug, dass all deine Aspekte, die ängstlichen wie die liebevollen, eingehen unter dein Dach. Wenn nicht jetzt, wann dann?! Wenn nicht du, wer dann?! Verzeihe dir selbst, belebe dein Herz, lasse es führen und mit deinem Bauch und Kopf zusammenarbeiten.
Tabu Nr. 9:
Die ganze Wahrheit sagen
Tabu Nr. 9 richtet sich an die Schlauen. Weil sie erkennen, dass sie mit Lügen nicht immer weiterkommen, bestimmen sie, welche Schwächen sie offenlegen bzw. welche Fehler sie eingestehen. Indem sie also nur einen ausgewählten Teil der Wahrheit preisgeben – in den meisten Fällen nur den unverzichtbaren, ohne den ihnen Nachteile erwachsen würden – und die wirklich wichtigen Informationen für sich behalten, manipulieren sie geschickt die Fremdwahrnehmung. Auf Kopfebene mögen sie sich mit solchen Halbwahrheiten durchsetzen. Intuitiv werden sie aber entlarvt: „Bei dieser Person habe ich ein ungutes Bauchgefühl.“ „Etwas stimmt da nicht.“ „Irgendwie kann ich dieser Person nicht trauen.“
Du tust also gut daran, deine Wahrnehmungsfähigkeit zu optimieren. Dies gelingt dir, indem du deine intuitiven21 und kognitiven22 Kompetenzen ausbaust und verheiratest.23 So wirst du selbst immer weitere Puzzleteile der Wahrheit erkennen. Das Gesamtbild erschliesst sich dir schrittweise, und zwar immer dann, wenn du einen blinden Fleck aufdeckst. Diesen Prozess kannst du dadurch verbessern, dass du erstens deine ganze Wahrheit anderen mitteilst (Transparenz) und zweitens auf deren Resonanz unvoreingenommen eingehst (Offenheit). Beide Kriterien stärken das Vertrauen. Wichtig ist die Systemabgrenzung, denn Vertrauen ist viel schneller zerstört als aufgebaut. Beginne mit einem überschaubaren System, z.B. einem Team. Während die Teammitglieder miteinander offen und transparent kommunizieren, ist die externe Kommunikation geprägt durch Diskretion. Nach und nach kannst du das System erweitern, je ruhiger, klarer und verbundener der Informationsaustausch zwischen Sender und Empfänger funktioniert.
Anregung für die Führung und Zusammenarbeit:
Rauschen reduzieren
Oft ist der Informationsaustausch gestört: Viel Lärm um nichts dominiert die Art und Weise der Kommunikation in unserer Gesellschaft. Werbung, Politik und Medien sind damit infiziert. Dieses Rauschen irritiert die „Wahr-nehmung“ und lenkt vom „Wesen-tlichen“ ab. Die Lösung liegt auf der Hand. Erhöhe Ruhe, Klarheit und Verbundenheit, indem du das Rauschen reduzierst. Dazu brauchst du einen passenden Filter. Es gibt ihn! Er ist ein System bestehend aus drei Teilen: Herz, Kopf und Bauch. In diesem Zusammenhang ermöglicht dir das Herz, liebevolle Impulse zu empfangen und zu senden. Im Gegensatz dazu hilft dir der Kopf, ängstliche Impulse zu empfangen oder zu senden. Der Bauch ist fähig, sowohl liebevolle in ängstliche als auch ängstliche in liebevolle Impulse umzuwandeln. Dieser dreiteilige Filter funktioniert jedoch nur, wenn alle drei Teile aktiviert und miteinander verbunden sind. Aktiviere und trainiere ihn. Vergiss dabei nicht, ihn regelmässig zu reinigen.24 Dann wirst du sofort erkennen, wenn jemand spricht ohne etwas zu sagen – auch wenn dieser jemand du bist.
Tabu Nr. 10:
Die liebevolle Seite vorleben
Tabu Nummer 10 ist des Menschen eiserner Herzpanzer par excellence: „Auf gar keinen Fall Liebe leben!“ Noch sitzen die Ängste vor Verletzen und Verletzt-Werden sehr tief, nicht nur im individuellen Bewusstsein, sondern schwergewichtig im kollektiven Unbewussten. Mit Liebe sind hier weder das sexuelle Verlangen noch erotische oder leidenschaftliche Gefühle gemeint. Vielmehr umfasst Liebe in diesem Kontext alles, was jenseits der Angst liegt. Liebe herrscht folglich, wenn keine Ängste mehr im Spiel sind. Angst lässt sich umschreiben als eine intensive emotionale Anspannung, die stets dann aufkommt, wenn ein verdrängter Konflikt ins Bewusstsein zu geraten droht. Folglich hüllt die Angst die Wirklichkeit in einen unbewussten Schleier, sodass sie leichter zu ertragen ist. Wie ein Radiergummi entfernt sie den möglicherweise schmerzhaften Teil der Wahrheit aus dem Bewusstsein. So entstehen blinde Flecken.25
Nun ist offensichtlich, dass ein System blinde Passagiere viel eher verkraften kann als blinde Kapitäne. Menschen in Führungspositionen, die ihre blinden Flecken nicht aktiv auflösen, sind daher eine Gefahr für alle Beteiligten. Sie merken es nicht, wenn sie auf einen Eisberg zusteuern.26 Damit verursachen sie unbewusst mehr Probleme, als sie bewusst zu lösen fähig sind. Dies ist aus Sicht der Führung nicht verantwortbar, den Mitarbeitenden nicht zumutbar und für das System nicht tragbar. Als Konsequenz sollten solche Führungskräfte therapiert oder ausgewechselt werden. Die Wahrscheinlichkeit ist relativ gering, dass sie es selber merken und sich therapieren bzw. auswechseln lassen wollen, denn genau hier liegt einer ihrer blinden Flecken.
Doch keine Regel ohne Ausnahme! Vielleicht bist du ja bereits daran, deine blinden Flecken aufzulösen. Dann merkst du, wie du nicht nur die angstvollen Teile in dir reduzierst, sondern gleichzeitig für die liebevollen mehr Raum lässt. Aktiv trägst du dann zu einer angstfreieren Lernkultur bei.27 Ein Schlüssel dazu ist die mitfühlende Kommunikation.28 Die folgenden Konversationstipps helfen dir, Vertrauen zu schaffen, Konflikte zu lösen und Vertrautheit auszubauen:
Vor der Kommunikation geht es darum, dein inneres Gleichgewicht zu stärken:
- Entspanne dich: Lockere deinen Körper und beobachte deinen Atem.
- Bleibe im Augenblick: Richte deine Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt.
- Kultiviere innere Ruhe: Lasse deine inneren Stimmen ausreden und höre auf die Sendepausen.
- Verstärke das Positive: Sage „Ja!“ zum Leben und zur Liebe.
- Erkenne deine wichtigsten Werte: Bestimme, was dein Leben wertvoll macht.
- Stelle dir etwas Angenehmes vor: Fühle in das hinein, was dein Herz erfreut.
Während der Kommunikation liegt der Fokus auf genauem Beobachten und bewusstem Mitteilen:
- Drücke Wertschätzung aus: Begegne deinem Gesprächspartner auf Augenhöhe.
- Erkenne nonverbale Schlüsselinformationen: Verbinde dich mit dem Gesprächspartner über den Augenkontakt und lasse die Informationen fliessen.
- Höre genau hin: Lasse deinen Gesprächspartner ausreden und versuche zu verstehen, was sein wirkliches Anliegen ist.
- Spreche langsam: Atme tief und ruhig bevor du sprichst und warte geduldig, bis dir die richtigen Worte kommen.
- Spreche warmherzig: Lasse dein Herz an der Konversation mitreden.
- Spreche kurz: Beschränke dich auf das Wesentliche und sprich maximal 30 Sekunden lang.
Nutze dabei deine Intuition. Vertraue ihr, dass sie dich richtig durch das Gespräch leiten wird. Wann immer du dich unwohl fühlst, halte inne, atme und lasse dich zu nichts drängen, was sich nicht gut anfühlt. Lasse dich nicht provozieren. Habe Mut, auf zynische Fragen oder respektlose Bemerkungen mit Schweigen zu antworten. Falls es sich danach anfühlt, unterbreche die Konversation und stärke dein inneres Gleichgewicht erneut.
Nach der Kommunikation ist vor der Kommunikation. Sei dankbar für jeden Konversationspartner, denn er gibt dir Feedback und bietet dir die Möglichkeit zu üben. Wenn es dir gelingt, aus dem, was er dir gespiegelt hat, die Botschaft für dich zu erkennen, deine Lehren zu ziehen und daraus zu lernen, bleibst du dir selbst und deiner liebevollen Seite treu. Du kannst dich freuen. Was du aussendest, wirst du wieder empfangen. Sei bereit.
Anregung für die Führung und Zusammenarbeit:
Kommunikations-Oasen schaffen
Eine mögliche Massnahme zur Förderung einer angstfreien Lernkultur besteht darin, angenehme Orte der Kommunikation zu gestalten. Dies sind Wohlfühl-Oasen, die das Reden miteinander und mit sich selbst erleichtern. Je nach Kommunikationsart unterscheiden sich auch die Anforderungen. Für die interpersonale Kommunikation eignen sich z.B. helle Besprechungsräume mit einem schönen Panorama und bequemen Sesseln. Im Gegensatz dazu sind bei intrapersonalen Kommunikation eher dunkle Meditationsräume der Stille mit entspannenden Liegen gefragt. Egal, wie viel du in solche Oasen investierst, im Zentrum steht stets der angstfreie Kommunikationsfluss. Er begünstigt das Lernen und wirkt sich kreativ und konstruktiv auf die Führung und Zusammenarbeit aus. Damit setzt du ein klares Zeichen für das Leben der liebevollen Seite. Die Performance steigt, weil sich die Freude an der Leistung erhöht und das natürliche Gleichgewicht jedes Mitwirkenden gestärkt wird.
Fazit: Neue Anforderungen an die Führung und Zusammenarbeit
Synergie-Effekte durch Kooperation
Beim genauen Hinsehen fallen Tabu-Mauern in sich zusammen und verwandeln sich in Bewusstseins-Brücken. Dadurch entstehen sowohl neue Verbindungen als auch Verbindlichkeiten. Für die Führung und Zusammenarbeit bedeutet dies hauptsächlich mehr kooperieren, sei es zwischen den einzelnen Teilen eines Systems oder mit anderen Systemen. Eine erfolgreiche Kooperation setzt Einigkeit über die Ziele, Klarheit über die Arbeitsteilung und Synchronisation der Aufgaben voraus. Dann sind Synergien möglich. Aus neuen Möglichkeiten erwachen aber stets auch neue Konfliktpotenziale. Hier sind kommunikative Kompetenzen entscheidend. Gegenseitiges Vertrauen, flache Hierarchien und kurze Entscheidungswege machen die kooperative Führung und Zusammenarbeit fit, damit die Netzwerke fähig sind, locker und dynamisch zusammenzuwirken. Nebst Tabubrecher sind demnach Brückenbauer gefragt, die es verstehen, sowohl den Kontext als auch die Beziehungen an die neuen Anforderungen anzupassen.
Auf das Gleichgewicht kommt es an
Egal, wie gross die Anpassungen oder Veränderungen sind, die zentralste Führungsaufgabe besteht im Vermeiden von extremen Ungleichgewichten. Das Yin-Yang-Symbol repräsentiert dies am treffendsten. Das „Entweder-(weiss)-oder-(schwarz)“ führt früher oder später zum Problem. Die Lösung lebt im „Sowohl-(weiss)-als-auch-(schwarz)“, also im ausgewogenen Zusammenspiel von Gegensätzen. Je lebendiger ein System ist, desto schwieriger ist es zu regulieren. Erfolgreich führen ist folglich eine Frage der passendsten Regelung: Im Idealfall die Selbstregulierung, wie die Meisterin der Komplexität – die Natur – mustergültig zeigt.29 Lebensfähig führen und zusammenarbeiten bedeutet demnach Gleichgewichtszustände durch interne regelnde Prozesse aufrechterhalten. Dies bedingt in erster Linie ein hohes Mass an Selbstreflexionskompetenz und Adaptionsfähigkeit. Diese zwei Kernkompetenzen entscheiden zukünftig über Aufstieg oder Fall. Im perfekten Gleichgewicht befindet sich das Tor zu einer neuen Welt.
1 Anm.d.V.: Versteckte/geheime Absichten, Hintergedanken. In der Werbung sind sie auch bekannt als „hidden persuaders“ (geheime Verführer).
2 Anm.d.V.: Weil die Möchte-gern-Mächtigen von den Mächtigen einen Machtzuwachs erhoffen und dadurch bereit sind, sich in den Dienst eines niedrigen Zwecks zu stellen, sich also zu Gunsten der Mächtigen relativ billig prostituieren lassen.
3 Anm.d.V.: Bedeutet wörtlich: Wem zum Vorteil? In diesem Zusammenhang: Wer profitiert (alles) vom Tabu? Fall A: Eine Gans wird vom Bauern jeden Tag gefüttert, gehegt und gepflegt. Sie ist dem Bauer dafür dankbar, bleibt bei ihm, beschützt seinen Hof und erfreut sich am schönen Leben. Alles wunderbar, bis zu dem Tag, an dem die Gans genügend fett ist und der Bauer sie schlachtet und verkauft. Fall B: Die Gans wird vom Bauern jeden Tag gefüttert, gehegt und gepflegt. Die Gans durchschaut die wahre Absicht des Bauern, dass er sie nämlich an dem Tag schlachten und verkaufen will, an dem sie genügend fett ist. Sie zieht die Konsequenz, klärt die übrigen Gänse auf und fliegt davon.
4 Anm.d.V.: Im Gänse-Beispiel B verzichtet die Gans auf das komfortable Gemästet-Werden. Zudem weiss sie weder, wie der Bauer oder die übrigen Gänse auf ihre Aufklärungsaktion reagieren werden, noch was sie ausserhalb des Bauernhofes erwarten wird.
5 Anm.d.V.: Beispielsweise in Unternehmen (Konzerne, KMU etc.), Institutionen (öffentliche Einrichtungen wie Schulen, Genossenschaften, Behörden, Stiftungen etc.) oder in Familien.
6 Anm.d.V.: Einen unterdrückten Teil der Gesell- oder Belegschaft (im marxistischen Sinn), der nach Emanzipation strebt und daher (auf [r]evolutionäre Weise) sich besonders beteiligen wird.
7 Anm.d.V.: U.a. natürliche Systeme (Mensch, Organismus, Ökosystem etc.), wirtschaftliche Systeme (Unternehmung, volkswirtschaftliche Ordnung, Arbeitsmarkt, Finanzmarkt etc.), technologische Systeme (Energiegewinnung, Verkehr, Kommunikations-/Informationstechnologie etc.), gesellschaftliche Systeme (Staatsform, Politik, Bevölkerung, öffentliche Infrastruktur, Bildungswesen etc.).
8 Vgl. hierzu auch Taleb, N. (2012): Antifragile – Things that Gain from Disorder. Penguin Books.
9 Vgl. hierzu auch Wunderer, R. (2003): Führung und Zusammenarbeit – eine unternehmerische Führungslehre. Luchterhand. S. 5-14.
10 Vgl. hierzu auch Steiner, R. (2004): Menschenorientierte Führung – Anregungen für zivile und militärische Führungskräfte. Verlag Huber. S. 24-26.
11 Vgl. Zimbargo, P. G. & Gerrig, R. J. (2004): Psychologie. Pearson Studium. S. 619.
12 Anm. d. V.: Offen sein gegenüber Neuem, Fremdem, Andersartigen.
13 Anm. d. V.: Alle Informationen mitteilen.
14 Vgl. hierzu Schulz von Thun, F., Ruppel, J., Stratmann, R. (2003): Miteinander reden – Kommunikationspsychologie für Führungskräfte. Rowohlt TB. S. 134-191.
15 Vgl. hierzu Elsevier GmbH (Hrsg.) (2005): Medizin, Mensch, Gesundheit – Die sieben Wirkungszusammenhänge des menschlichen Organismus. Lingen. S. 30-37.
16 Vgl. hierzu auch Zehentbauer, J. (2010): Körpereigene Drogen: Garantiert ohne Nebenwirkungen. Walter. S. 193-206.
17 Vgl. hierzu auch die wichtigsten Abwehrmechanismen aus Tabu Nr. 3.
18 Vgl. hierzu Kobat-Zinn, J. (2006): Gesund durch Meditation: Das grosse Buch der Selbstheilung. Fischer. S. 45-68.
19 Vgl. hierzu Elsevier GmbH (Hrsg.) (2005): Medizin, Mensch, Gesundheit – Sanfte Medizin. Lingen. S. 838-1086.
20 Anm. d. V.: Zögere nicht, im Zweifelsfall vorgängig oder bei akuten Beschwerden bzw. gravierenden Störungen einen Arzt aufzusuchen und seinen medizinischen Rat einzuholen.
21 Anm.d.V.: Intuition: Wahrnehmen von Komplexität. Nicht zu verwechseln mit Emotion: komplexe Reaktion in Form von körperlicher Erregung, Gefühlen oder kognitiver Prozesse und Verhaltensmuster auf als persönlich bedeutsam wahrgenommene Situation oder Gefühl: psychische Empfindung, Form einer Emotion.
22 Anm.d.V.: Kognition: Gesamtheit aller Prozesse, die mit dem Wahrnehmen und Erkennen zusammenhängen.
23 Vgl. hierzu Losurdo, S. & Maffei, M. (2015): Innere Autorität – Anleitung zum Authentisch-Sein. POWERNAVI BOOKS. S. 46-48.
24 Anm. d. V.: Beispielsweise durch Atemübungen oder reflexive Spaziergänge in der Natur.
25 Vgl. hierzu die wichtigsten Abwehrmechanismen aus Tabu Nr. 3.
26 Vgl. hierzu Ruch, F. & Zimbardo, P. G. (1974): Lehrbuch der Psychologie. Eine Einführung für Studenten der Psychologie, Medizin und Pädagogik. Springer. S. 366.
27 Vgl. hierzu die Kriterien für ein antifragiles System aus Tabu Nr. 2.
29 Z.B.: Blutzuckerspiegel, Blutdruck, Körpertemparatur, Stoffwechsel.